Wissen rund um die Praxis

Klimawandel: Die größte Herausforderung für unser Gesundheitssystem im 21. Jahrhundert?

Der Klimawandel stellt eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar und hat weitreichende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Klimawandel „die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit“. Durch steigende Temperaturen, einhergehende Wetterveränderungen und die Abnahme der Ozonschicht sowie zunehmende Umweltverschmutzung werden zahlreiche gesundheitsbezogene Prozesse im menschlichen Körper beeinflusst. Diese Veränderungen betreffen insbesondere hitzebedingte Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, die Verbreitung von Infektionskrankheiten und wasserassoziierte Erkrankungen.

Steigende Temperaturen und Veränderungen in der Ozon-Konzentration: Doppelte Bedrohung für die Gesundheit 

Die Häufigkeit, Dauer und Intensität von Hitzewellen in Deutschland nehmen stetig zu. Erhöhte Umgebungstemperaturen können zu einer Überlastung thermoregulatorischer Prozesse führen, was zu Dehydrierung und Elektrolytstörungen führt. Diese Störungen können Hitzeschläge, Hitzekrämpfe und Hitzekollapse zur Folge haben. Seit 2018 wurden in Deutschland jedes Jahr Hitzewellen mit mindestens drei aufeinander folgenden Hitzetagen (Tageshöchsttemperatur von über 30°C) aufgezeichnet. Aktuellen Schätzungen nach wird die Anzahl und Dauer solcher Hitzewellen in Deutschland weiter zunehmen. Hitzewellen sind mit einer erhöhten Inzidenz von Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz und anderen kardiovaskulären Notfällen assoziiert. Daten aus der Gesundheitsversorgung zeigen, dass während Hitzewellen die Zahl der Krankenhausaufnahmen und Notfallbesuche signifikant ansteigt. Nach Schätzungen der AOK  kommen pro Hitzetag etwa 40 zusätzliche Krankenhausaufnahmen pro einer Millionen Versicherten im Alter von über 65 Jahren dazu. Langfristige Hitzeexposition erhöht zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Zusätzlich fördern höhere Temperaturen das Wachstum pathogener Bakterien in Lebensmitteln, was zu einer Zunahme lebensmittelassoziierter Infektionen wie Salmonellose und Campylobacteriose führt. Diese Erkrankungen können insbesondere für vulnerable Personengruppen wie ältere Menschen und immunsupprimierte Patientinnen und Patienten schwerwiegende Folgen haben. 

Steigende Temperaturen gehen auch mit der vermehrten Bildung von bodennahem Ozon einher, die mit einem Anstieg von respiratorischen und kardiovaskulären Erkrankungen verbunden ist. Eine durch höhere Temperaturen reduzierte Luftzirkulation erhöht auch die Konzentration von anderen Schadstoffen, die zu entzündlichen Prozessen in den Atemwegen führen können und so die Symptomatik von respiratorischen Erkrankungen wie Asthma und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) verstärken können. Inhalierte Partikel können bis in die Alveolen vordringen und systemische Entzündungen und oxidativen Stress auslösen, was das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen deutlich erhöht. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung sind in städtischen Gebieten mit hoher Verkehrsdichte und industrieller Aktivität besonders ausgeprägt. Eine erhöhte Exposition gegenüber Luftschadstoffen erhöht zudem das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz. 

Auch die zunehmende Anzahl von Niedrig-Ozon-Ereignissen birgt erhöhte Gesundheitsrisiken: die stratosphärische Ozonschicht hat sich in den mittleren Breitengraden der Nordhalbkugel mittlerweile um etwa 3% reduziert. Das führt auch in Deutschland zu einer um 4% (im Sommer und Herbst) bis 7% (im Winter und Frühling) erhöhten UV-Bestrahlungsstärke.  Diese erhöhte UV-Exposition führt zu einem steigenden Risiko für Hautkrebs und Augenerkrankungen wie Katarakte. Insbesondere Kinder und Menschen mit heller Haut sind gefährdet. Eine erhöhte UV-Bestrahlung kann zudem das Immunsystem schwächen und so die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen, was insbesondere für immunsupprimierte Patientinnen und Patienten bedenklich ist.

Gesundheitsrisiken durch Extremwetterereignisse

Infolge des Klimawandels nehmen Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen zu. Lange Trockenperioden führen zu einer zunehmenden Wasserknappheit, die die Trinkwasserqualität beeinträchtigt und das Risiko für wasserbürtige Krankheiten wie Cholera, Typhus und Hepatitis A erhöht.  Die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser wird reduziert, während die Konzentration von Krankheitserregern im Wasser steigt, was zu einer Zunahme von Durchfallerkrankungen und anderen wasserassoziierten Infektionen führt.   

Lange Trockenperioden erhöhen auch das Risiko für Waldbrände. Der inhalierte Rauch und Feinstaub können akute Atemwegserkrankungen wie Asthmaanfälle und Bronchitis verursachen und bestehende Erkrankungen verschlimmern. Eine langfristige Exposition erhöht das Risiko für Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und kognitive Beeinträchtigungen. 

Neben Dürreperioden verursachen klimatische Veränderungen auch Überschwemmungen, die ebenfalls die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser beeinträchtigen, indem sie zu chemischen und fäkalen Verunreinigungen führen und die Verbreitung von wasserbürtigen Erregern erhöhen. Auch Deutschland verzeichnet zunehmend Überschwemmungen, die insbesondere durch anhaltende Regenfälle ausgelöst werden. Diese sind nicht nur auf Gebiete in der Nähe von Gewässern beschränkt. Verschiedene Faktoren wie Bodenversiegelung durch Bebauung und unzureichende Entwässerungssysteme verhindern den Abfluss entstehender Wassermassen. Entsprechend sind zwar Hochwassergebiete nach wie vor stark gefährdet, potentiell könnte jedoch jede Region Deutschlands von Überschwemmungen getroffen werden. Extremwetterbedingungen stellen auch ein zunehmendes Risiko für die psychische Gesundheit dar und können zu Depressionen, Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen. 

Vektorübertragene Erkrankungen   

Der Klimawandel beeinflusst die Verbreitung von Vektoren wie Mücken und Zecken, die Krankheiten wie Malaria, das Dengue-Fieber, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder Borreliose übertragen . Höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster schaffen günstige Bedingungen für die Vermehrung und Ausbreitung dieser Vektoren, wodurch die Inzidenz vektorübertragener Erkrankungen auch in zuvor nicht betroffenen Gebieten steigt. Die klimatischen Veränderungen ermöglichen zum Beispiel das Überleben und die Vermehrung der Asiatischen Tigermücke in Deutschland. Diese eingeschleppte Stechmückenart kann zahlreiche Erkrankungen übertragen, darunter auch das Dengue- und Chikungunya-Virus.

Erhöhtes Risiko für vulnerable Personengruppen  

Klimawandel-bedingte Gesundheitsgefahren treffen bestimmte Personengruppen in besonderer Weise. Dazu gehören nicht nur die direkt Betroffenen von Extremwetterereignissen, sondern auch ältere Menschen, Kinder und Personen mit Vorerkrankungen. 

Ältere Menschen haben eine reduzierte Fähigkeit zur Thermoregulation und sind daher anfälliger für hitzebedingte Erkrankungen und Gesundheitsgefahren durch Luftverschmutzung. Regelmäßige Untersuchungen auf Dehydrierung und Hitzestress sind daher wichtig. Ältere Patientinnen und Patienten sollten zur ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme ermutigt werden und über Maßnahmen zur Vermeidung von Hitzeexposition informiert werden. 

Kinder sind empfindlicher gegenüber Umweltveränderungen und Infektionskrankheiten, da ihr Immunsystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Pädiater sollten Eltern insbesondere über die Risiken von Hitzestress, Dehydrierung und vektorübertragenen Erkrankungen aufklären und Empfehlungen zur Prävention geben.

Personen mit Vorerkrankungen wie Asthma, COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sind durch die steigenden Temperaturen und zunehmende Verschlechterung der Luftqualität besonders gefährdet. Aktuelle Untersuchungen weisen auch auf eine Verstärkung der Symptome neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson  hin. Vorerkrankte Patientinnen und Patienten sollten ausführlich über eine mögliche Verschlechterung ihrer Symptome und präventive Maßnahmen aufgeklärt werden. 

Darüber hinaus können durch Hitze Wechselwirkungen mit Arzneimitteln entstehen. Zu den betroffenen Wirkstoffklassen gehören unter anderem Diuretika, Antiepileptika, Schmerzmittel, Insuline, Anticholinerge Arzneimittel und SLGT1-Inhibitoren. Steigende Temperaturen können Medikationsanpassungen notwendig machen.    

Fazit

Der Klimawandel hat weitreichende und tiefgreifende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Direkte und indirekte Effekte des Klimawandels betreffen nicht nur vulnerable Personengruppen, sondern stellen auch eine zunehmende Belastung für das gesamte Gesundheitssystem dar. Insbesondere gefährdete Personengruppen sollten ausführlich über die steigenden Gesundheitsrisiken und möglichen Verschlechterungen der Symptome von Vorerkrankungen aufgeklärt werden.

 

Referenzen

  1. WHO: Climate Change and health zuletzt abgerufen am 03.07.2024
  2. Günster, Christian und Schmuker, Caroline. "Gesundheit und Klimawandel–welche Potenziale haben versorgungsnahe Daten?." Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz (2024): 1-9. 
  3. Klauber, Hannah; Koch, Nicolas. "Individuelle und regionale Risikofaktoren für hitzebedingte Hospitalisierungen der über 65-Jährigen in Deutschland." Versorgungs-Report: Klima und Gesundheit. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (2021): 9783954666270-5.
  4. Alahmad, Barrak, et al. "Connections between air pollution, climate change, and cardiovascular health." Canadian Journal of Cardiology (2023). 
  5. Bühn, S., and M. Voss. "Klimawandel und Gesundheit–Auswirkungen auf die Arbeitswelt." (2023). 
  6. Louis, Shreya, et al. "Impacts of climate change and air pollution on neurologic health, disease, and practice: a scoping review." Neurology 100.10 (2023): 474-483.  
  7. Bundesamt für Strahlenschutz: Einfluss des Ozonabbaus auf die UV-Belastungzuletzt abgerufen am 03.07.2024
  8. Kistemann T. et al. Bedeutung des Klimawandels für wasser-bezogene Krankheiten zuletzt abgerufen am 10.07.2024
  9. Walinski, Annika, et al. "The effects of climate change on mental health." Deutsches Ärzteblatt International 120.8 (2023): 117.     
  10. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Infektionen durch Schildzecken, Stechmücken und Nagetiere im Klimawandel zuletzt abgerufen am 11.07.2024
  11. Robert Koch Institut. Auswirkungen des Klimawandels auf nicht-übertragbare Erkrankungen und die psychische Gesundheit – Teil 2 des Sachstandberichts Klimawandel und Gesundheit 2023. J Health Monit. 2023;8(S4). doi: 10.25646/11645.        

Ihr Ansprechpartner

Dr. Martin Hampel
news@limbachgruppe.com

> zurück zum Blog

 

Um diese Webseite für Sie optimal zu gestalten und Zugriffe zu analysieren, verwenden wir Cookies. Mit Klick auf Zustimmen erklären Sie sich damit einverstanden. Ihre Zustimmung können Sie jederzeit widerrufen. Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung